ALBRECHT MEYDENBAUER - PIONEER OF PHOTOGRAMMETRIC DOCUMENTATION OF THE CULTURAL HERITAGE

Proceedings 18th International Symposium CIPA 2001 Potsdam (Germany), September 18 - 21, 2001

Albrecht Meydenbauer –
Pionier der photogrammetrischen Dokumentation des Kulturerbes

Jörg Albertz
Technische Universität Berlin,  Photogrammetrie und Kartographie, EB 9
Strasse DES 17. Juni 135, D - 10623 Berlin, Deutschland
E-mail: albertz@fpk.tu-berlin.de

Abstract in English

Zusammenfassung

1858 kam Albrecht Meydenbauer, einem jungen Architekten, die Idee, für die Gebäudevermessung Photographien zu verwenden. Seither arbeitete er mit Nachdruck an der technischen Verwirklichung seiner Idee. Um seiner Messmethode zum Durchbruch zu verhelfen, musste er gegen viele Widerstände kämpfen. Meydenbauer ahnte die Gefahren, die den Kulturgütern drohten. Er war fest davon überzeugt, daß die wichtigsten Kulturdenkmäler registriert werden müßten, um im Fall der Zerstörung wieder errichtet werden zu können. Um das Ziel eines “Denkmälerarchivs„ zu erreichen, war die Herstellung photogrammetrischer Bilder das beste Verfahren.

1885 hatte Meydenbauer mit seinem Projekt endlich Erfolg und in Berlin wurde die weltweit erste Anstalt für photogrammetrische Dokumentation der Kulturdenkmäler aufgebaut. Zwischen 1885 und 1920 nahm die “Meßbildanstalt„ ungefähr 2.600 Kulturdenkmäler auf, ca. 20.000 Meßbilder auf Glasplatten. Diese Sammlung historischer photogrammetrischer Bilder ist absolut einzigartig. In den folgenden Jahrzehnten, insbesondere während und nach dem Zweiten Weltkrieg, erlebte das Archiv eine abenteuerliche Geschichte. Es wurde für einige Jahre nach Moskau verlegt, bevor es wieder nach Berlin zurückkam. Jetzt befindet sich das berühmte “Meydenbauer Archiv„ unter dem Obdach des “Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege„ in Waldstadt, einer Stadt etwa 30 Kilometer südlich von Berlin.

Aus heutiger Sicht war Meydenbauer nicht nur ein erfolgreicher Erfinder der Photogrammetrie, sondern auch ein Pionier in der Dokumentation des Kulturerbes.

1. Einleitung

Fig. 1: Albrecht Meydenbauer als junger Architekt

Die Geschichte der architektonischen Photogrammetrie beginnt mit Albrecht Meydenbauer. Er wurde 1834 in Tholey, einem Ort in Deutschland geboren. Nach seinen Studien in der “Bauakademie„ in Berlin, wurde er Regierungsbauführer der preussischen Regierung (Fig.1). Eine seiner ersten Aufgaben war die Vermessung des Dom zu Wetzlar. Während dieser Arbeit im September 1858 hatte Meydenbauer einen Unfall, bei dem er beinahe vom Seitenturm der Kathedrale fiel (Fig.2). Nach diesem ernsten Erlebnis kam er zu dem Schluss, daß die direkte Messung an der Fassade durch eine indirekte Messung mit Hilfe photographischer Bilder ersetzt werden müsse. 

Ab sofort verschrieb sich Meydenbauer diesem Gedanken. 1860 schrieb er dem Kurator des Kulturerbes von Quast eine Denkschrift über die Vermessung der Gebäude in Preußen mittels der Photographie. Er berichtete, daß photographische Bilder die Objektinformationen vollständig in großer Detailtreue und mit hoher Genauigkeit speichern können. Meydenbauer dachte auch an die drohenden Gefahren für die Kulturgüter. Daraus entwickelte er die Konzept eines “Denkmälerarchivs„, in dem die wichtigsten Güter des Kulturerbes aufgenommen werden sollten, so daß sie im Fall der Zerstörung wieder rekonstruiert werden könnten. Doch es lag noch ein langer und schwieriger Weg vor ihm, um die Methoden und Instrumente für die technische Verwirklichung seiner Gedanken zu entwickeln. Er musste gegen viele Hindernisse und Kritiker kämpfen, bis seine Idee als Meßmethode akzeptiert wurde und er Unterstützung und Finanzierung von Seiten der Regierung fand.

2. Die Entwickung der photogrammetrischen Methode

Fig 2: Der Dom zu Wetzlar, an dem die Architektur-Photogrammetrie im September 1858 erfunden wurde. Meydenbauer selbst kennzeichnete die Stelle,  von der er beinahe herunter gefallen wäre, mit einem Pfeil.
Fig 2: Der Dom zu Wetzlar, an dem die Arichtektur-Photogrammetrie im September 1858 erfunden wurde. Meydenbauer selbst kennzeichnete die Stelle, von der er beinahe herunter gefallen wäre, mit einem Pfeil.
Fig. 3: Die erste photogrammetrische Kamera von Meydenbauer (gebaut 1867)
Fig. 3: Die erste photogrammetrische Kamera von Meydenbauer (gebaut 1867)
Fig. 4: Der französische Dom in Berlin. Eine von Meydenbauers experimentellen Fotographien aus 1882 (40 x 40 Zentimeter). 100 Jahre später, zwischen 1977 und 1982, wurde das Bild für die Rekonstruktion der Kirche verwendet, die während des Zweiten Weltkrieges stark beschädigt wurde.
Fig. 4: Der französische Dom in Berlin. Eine von Meydenbauers experimentellen Photographien von 1882 (40 x 40 Zentimeter). 100 Jahre später, zwischen 1977 und 1982, wurde das Bild für die Rekonstruktion der Kirche verwendet, die während des Zweiten Weltkrieges stark beschädigt wurde.
Fig. 5: Das Prinzip der “Meßtisch-Photogrammetrie„ (nach einer Arbeitsanweisung von Meydenbauers Institut).
Fig. 5: Das Prinzip der “Messtisch-Photogrammetrie„ (nach einer Arbeitsanweisung von Meydenbauers Institut).
Fig. 6: Der Effekt einer vertikalen Verschiebung des Kameraobjektivs; die Position II nutzt das Bildformat am besten aus (nach dem Lehrbuch von Meydenbauer aus 1912).
Fig. 6: Der Effekt einer vertikalen Verschiebung des Kameraobjektivs; die Position II nutzt das Bildformat am besten aus (nach dem Lehrbuch von Meydenbauer aus 1912).

Während der folgenden Jahre arbeitete Meydenbauer für den Aufbau des Eisenbahnnetzes und andere Bereiche. Viel Freizeit steckte er in die Entwicklung seiner Messmethode und die Durchführung praktischer Experimente. Zuerst dachte er, dass jede gute Kamera für seine Messmethode verwendet werden könne. Aber bald erkannte er die Fehler dieser Systeme und es wurde ihm klar, dass kommerzielle Kameras nicht die neuen Aufgaben erfüllen konnten und dass spezielle Kameras entwickelt werden mußten.

Das grundlegende Problem war, eine photographische Kamera und ein Messinstrument in einem einzigen System zu vereinen. Außerdem erkannte Meydenbauer, daß architektonische Objekte nur durch Weitwinkelobjektive vollständig dargestellt werden konnten. Nach diesen ersten Entdeckungen entwarf er ein Gerät, das 1867 mit einem Pantoskop-Weitwinkelobjektiv von der optischen Werkstatt Emil Busch in Rathenow (Fig. 3) gebaut wurde. Der Fokus betrug 25 Zentimeter, das Bildformat der Kamera 30 x 30 Zentimeter. Diese Kamera vereinte bereits die Haupteigenschaften der Messkameras:

  • die Definition der Bildebene mittels eines mechanischen Rahmens, gegen die die photographische Platte vor der Belichtung angedrückt wurde;
  • die Integration eines Koordinatensystems, dargestellt als Fadenkreuz, das auf der Photoplatte während der Belichtung abgebildet wird;
  • die Kompaktbauweise mit einem festen Objektiv, um die Kamerakonstante festzulegen;
  • die Montage auf einem Stativ mit der Möglichkeit, die Kameraachse horizontal und die Bildebene vertikal anzupassen. (k = 0).

Diese technischen Lösungen bildeten die grundlegenden Elemente aller späteren photogrammetrischen Kameras.

Mit diesem Instrument führte Meydenbauer während des Sommers 1867 praktische Tests durch. In dem Ort Freyburg an der Unstrut, ungefähr 180 Kilometer südwestlich von Berlin, nahm er zu topographischen Zwecken Messbilder von der Stadtkirche und auch von einem Geländeausschnitt auf. In diesen Tests erfüllte die Kamera voll die in sie gesetzten Hoffnungen und Meydenbauer konnte beweisen, daß die Photogrammetrie sowohl für architektonische Aufnahmen als auch für topographische Arbeiten geeignet ist. Trotz dieser viel versprechenden Resultate fand Meydenbauer noch keine Anerkennung für seine Methode.

Es soll an dieser Stelle daran erinnert werden, dass Meydenbauer zu dieser Zeit erstmals Kenntnis über die Experimente von Aimé Laussedat in Frankreich erhielt, der ebenfalls an topographischen Messmethoden arbeitete, die “Métrophotographie„ genannt wurden. Meydenbauer jedoch folgte einem Rat eines Freundes und verwendete in einem Artikel, der in einem Journal für Architektur im Dezember 1867 veröffentlicht wurde, zum ersten Mal die Bezeichnung “Photogrammetrie„. Später wurde diese Bezeichnung weltweit angenommen. 

Meydenbauers Methoden zur Meßbildauswertung waren graphische Konstruktionen, die den Regeln der darstellenden Geometrie folgten. Dies wurde durch die strenge vertikale Lage der Bildebene ermöglicht. In seinen Instrumenten benutzte Meydenbauer keinen horizontalen Kreis für die Messung von Azimutwinkeln. Seine Grundregel war, die azimutale Orientierung jedes einzelnen Bildes durch mindestens einen Kontrollpunkt im abzubildenden Objekt festzulegen. Um das Ganze graphisch darzustellen, entwickelte er zwei unterschiedliche Methoden, die er dann auch durchführte. Die erste machte von den Fluchtpunkten Gebrauch. Das war besonders dann möglich, wenn horizontale parallele Linien im Objekt angenommen werden konnten. Um Konvergenz solcher Linien im Bild zu erzielen, bevorzugte er häufig diagonale Ansichten (Fig. 4). Die zweite und die allgemeinere Methode waren der graphische Schnitt von zwei Strahlen, um die Position eines Punktes zu bestimmen. Durch diese Methode, auch “Meßtisch-Photogrammetrie„ genannt, konnte ein beliebiger Objektpunkt, der in zwei (oder mehr) konvergenten Bildern identifiziert worden ist, im Lageplan eingezeichnet werden (Fig 5). In einem zweiten Schritt konnte seine Höhe auch graphisch konstruiert werden.

Viele praktische Experimente und technische Verbesserungen der Kameras folgten. Eine Kamera der zweiten Generation wurde von Franz Stolze 1874 während einer Expedition in Persien benutzt, in dem er eine photogrammetrische Aufnahme der Ruinen von Persepolis und von anderen archäologischen Objekten erstellte. Die dritte Generation der Kameras von Meydenbauer wurden ab 1879 hergestellt. Er benutzte noch die Pantoskop Objektive mit Fokuslängen von 25 Zentimeter, von 35 Zentimeter und von 53 Zentimeter. Das Bildformat wurde auf 40 x 40 Zentimeter vergrößert (große Formate waren wegen der höheren Genauigkeit wünschenswert, die mit der graphischen Bildauswertung erzielt werden konnten). Aber die interessanteste neue Eigenschaft war die Einführung einer vertikalen Verschiebung des Objektivs. Dieses ermöglichte, eine bessere Anpassung gegenüber dem Objekt zu erreichen (Fig 6), eine Technik, die in vielen Phototheodoliten in den folgenden Jahrzehnten verwendet wurde.

Meydenbauer arbeitete weiter an der Verbesserung der Instrumente und der photogrammetrischen Methode. Testaufnahmen der Kirche St. Castor in der Stadt Koblenz und an anderen Plätzen bezeugen seine Bemühungen. Außerdem versuchte er, das Interesse an der Photogrammetrie durch Vorträge und Publikationen zu wecken. Er wurde immer erfolgreicher und schließlich weckte er das Interesse des preußische Kultur-Ministers. Als Folge davon wurde Meydenbauer eingeladen, Vorträge und praktische Übungen an den Technischen Hochschulen von Aachen 1881 und von Berlin 1882 zu abzuhalten (Fig 4). Außerdem wurde ein amtlicher Test unter Kontrolle der Regierung durchgeführt. Die Kirche St. Elisabeth in Marburg wurde von Meydenbauer und davon unabhängig von einem Feldmesser aufgenommen. Obwohl die photogrammetrischen Resultate zuverlässig waren, gab es dennoch einige Zweifler. Deshalb war in zwei Debatten die Genauigkeit der Photogrammetrie Thema einer Diskussion im preußischen Parlament gewesen; schließlich wurde die Photogrammetrie offiziell für die Dokumentation der großen architektonischen Denkmäler akzepiert. 

Albrecht Meydenbauer wurde zum preußischen Ministerium der Kultur berufen, in dem er für die Anwendung der Photogrammetrie zur Dokumentation der Kulturdenkmäler verantwortlich war. Am 1. April 1885 wurde die “Königlich Preußische Meßbildanstalt„ (Fig. 7), die erste photogrammetrische Institution weltweit, errichtet.

3. Die "Königlich Preussiche Meßbildanstalt"

Fig. 7: Das Logo der preußischen Meßbildanstalt.
Fig. 7: Das Logo der preußischen Meßbildanstalt.
Fig. 8: Schinkel `s Bauakademie, in der sich die preußische Meßbildanstalt zwischen 1885 und 1932 befand.
Fig. 8: Schinkel `s Bauakademie, in der sich die preußische Meßbildanstalt zwischen 1885 und 1932 befand.
Fig. 9: Albrecht Meydenbauer in seiner Lebensmitte
Fig. 9: Albrecht Meydenbauer in seiner Lebensmitte
Fig. 10: Ein Exemplar aus der neuen Generation von Kameras von Meydenbauer, ca. 1890.
Fig. 10: Ein Exemplar aus der neuen Generation von Kameras von Meydenbauer, ca. 1890.
Fig.11: Eine der zwei originalen Meydenbauer-Kameras, die in der Schweiz überlebten. Diese Kamera wurde während des Symposiums der CIPA 2001 ausgestellt.
Fig.11: Eine der zwei originalen Meydenbauer-Kameras, die in der Schweiz überlebten. Diese Kamera wurde während des Symposiums der CIPA 2001 ausgestellt.

Mehr als 25 Jahre nach seiner ersten Idee, Photographien zur Dokumentation von Gebäuden zu nutzen, hatte Albrecht Meydenbauer den Wendepunkt seiner Karriere erreicht. Jetzt wurde er mit neuen Herausforderungen konfrontiert: der Einrichtung und dem Management des Instituts, der Schulung seines Personals, weiteren Verbesserungen der photogrammetrischen Methoden und natürlich der Anwendung für die Dokumentation der Kulturdenkmäler.

Das Institut befand sich direkt im Stadtzentrum von Berlin, im dem Gebäude, das “Bauakademie„ genannt wurde (Fig. 8). Dieses Gebäude, selbst ein Gegenstand des Kulturerbes, wurde von Karl Friedrich Schinkel erbaut und beherbergte zuvor die Bauakademie, in der Meydenbauer selbst dreißig Jahre zuvor Student gewesen war.

Bereits 1886 begann Meydenbauer (Fig. 9) eine neue Generation von Kameras zu konstruieren. Er verwarf das feste Kameragehäuse und stellte ein Kameradesign vor, das zu den Transportzwecken auseinander genommen werden konnte. Bei diesen Instrumenten wurde die genaue Position des Objektivs relativ zur Bildebene durch ein System von justierbaren Stahlstangen sichergestellt. Das Kameragehäuse wurde durch einen lichtdichten Textilbeutel ersetzt (Fig. 10). Das Bildformat war 40 x 40 Zentimeter, aber für verschiedene Anwendungen, besonders für Expeditionen, wurden auch 30 x 30 Zentimeter und 20 x 20 Zentimeter Kameras konstruiert. Jede Kamera wurde mit einem Transportkasten ausgerüstet. Die Herstellung wurde in der Werkstatt des Instituts vom Mechaniker Benndorf durchgeführt. Mit diesen Kameras wurde viele Dekaden mit großem Erfolg gearbeitet. Leider sind alle Kameras, die von Meydenbauer und seinem Personal benutzt worden sind, während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden. 

Es existieren nur noch zwei Kameras, aber diese sind nie von Meydenbauer und von seinem Personal verwendet worden. Nach Demonstrationen seiner photogrammetrischen Methoden in der Schweiz 1896, bestellte die Schweizer Gesellschaft für die Erhaltung historischer Kunstdenkmäler« zwei Kameras. Sie wurden in Berlin gebaut und 1898 nach Basel (Schweiz) geliefert. Das Bildformat war 30 x 30 Zentimeter, die Fokuslänge 20 Zentimeter und 32 Zentimeter (Fig. 11). Während der folgenden Jahre sind diese Kameras in einigen Fällen eingesetzt worden. Die photogrammetrischen Tätigkeiten für die Aufnahme des Kulturerbes in der Schweiz wurden bald gestoppt und die Kameras wurden auf Lager gehalten. Jetzt befinden sie sich im “Archiv für Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur in Bern (Schweiz).

Die Tätigkeiten des Instituts von Meydenbauer konzentrierten sich auf kulturelle Denkmäler in Preußen, denn es war eine landeseigene Anstalt und diese war nicht für das ganze Deutsche Reich zuständig. Während seiner Amtszeit zwischen 1885 und 1909, nahmen er und sein Personal ungefähr 11.000 Übersichts-Aufnahmen von ungefähr 1.200 Denkmälern auf. Außerdem wurden ungefähr 1.600 Photographien von 100 Gebäuden in Deutschland außerhalb von Preußen angefertigt. Ca. 800 Photographien wurden von historischen Denkmälern außerhalb von Deutschland, hauptsächlich in Athen (Griechenland), in Baalbek (Libanon) und in Istanbul (Türkei) angefertigt. Nachdem Meydenbauer in den Ruhestand gegangen war, setzten seine Mitarbeiter seine Arbeit bis 1920 fort und das Archiv wuchs auf ungefähr 20.000 Photoplatten mit mehr als 2.600 Objekten an. Das wesentliche Ziel all dieser Tätigkeiten war die Dokumentation der Objekte auf Photographien, von denen man bei Bedarf die photogrammetrischen Maße ziehen kann. Eine photogrammetrische Bildauswertung wurde nur für eine kleine Minderheit der Gebäude erstellt.

Nach dem Ersten Weltkrieg war die Entwicklung in Deutschland durch politische Veränderungen und ökonomische Schwierigkeiten gekennzeichnet. In dieser Situation wurde der Status des Instituts geändert. Nach 1920 wurden photogrammetrischen Arbeiten auf ein Minimum reduziert. Der Name des Instituts wurde in “Staatliche Bildstelle„ geändert (also ein allgemeines Institut für Bilder). Seine Hauptfunktion war, Geld zu erwirtschaften, indem sie Photographien für universelle Zwecke (wie Publikationen über Kunstgeschichte, Postkarten etc.) in Zusammenarbeit mit einem privaten Herausgeber verkaufte. Bis zu einem gewissen Grad wurden auch die historischen Bilder für solche Zwecke verwendet, und viele von ihnen litten unter diesem Gebrauch.

4. Meydenbauer und Aufnahmen des Kulturerbes

Albrecht Meydenbauer war ein Visionär und viel mehr als ein reiner Photogrammeter. Seine Pläne waren, das photogrammetrische Institut für Preußen zu einem Archiv des kulturellen Erbes für ganz Deutschland zu erweitern. Folglich richtete er sein Interesse darauf, diesen Gedanken durch Vorträge und Printmedien zu verbreiten. Das tat er mit hohem Nachdruck. Es ist wirklich eindrucksvoll zu sehen, daß er die drohenden Gefahren für die Objekte des kulturellen Erbes sehr früh erkannte.

In diesem Zusammenhang war eine seiner bedeutendsten Publikationen ein Artikel, der zum ersten Mal 1894 in einer Zeitschrift für Architektur gedruckt wurde: “Ein Deutsches Denkmälerarchiv„. Zwei Jahre später, 1896, verbreitete er eine korrigierte Ausgabe dieses Artikels als eine Denkschrift mit dem Titel »Das Denkmäler-Archiv und seine Realisierung durch das Messbild-Verfahren«. Er argumentierte, daß geschriebene oder andere Dokumente des Kulturerbes in den Archiven und in den Museen konserviert und geschützt werden, während die gebauten Denkmäler ungeschützt natürlichen Abnutzungsprozessen ausgeliefert bleiben. Er fährt fort »Was die Natur nicht fertig bringt, vollendet oft unheimlich schnell der Unverstand und der alles vor sich niederwerfende Verkehr«. Zum Zeitpunkt dieser Sätze wurden erst einige wenige Automobile konstruiert! Meydenbauer hat militärische Aktivitäten nicht vorhergesehen, er hat sie zumindest nicht erwähnt. Vermutlich konnte er sich nicht vorstellen, daß in zwei Weltkriegen und in vielen anderen Militärkonflikten so unzählige Objekte des kulturellen Erbes zerstört oder schwer beschädigt würden. In seiner Denkschrift beschrieb Meydenbauer die passenden Techniken für die Aufnahme und das Archivieren als auch die Anwendung der Meßbilder zu den verschiedenen Zwecken. Er schätzte, daß es möglich sein sollte, die wichtigsten kulturellen Denkmäler für ganz Deutschland innerhalb 12 bis 15 Jahren zu aufzunehmen.

Es muss für Meydenbauer sehr enttäuschend gewesen sein, dass diese Denkschrift nicht die Reaktionen auslöste, die er erwartete. Sie wurde von den Mitgliedern der Regierung und dem deutschen Parlament nicht beachtet. 1905, als sein preußisches Institut seinen zwanzigsten Jahrestag feierte, machte er einen neuerlichen Vorschlag, ein Archiv des kulturellen Erbes für Deutschland aufzubauen. Dieser Vorschlag war wieder nicht erfolgreich. Er erhielt von den Ministern nur bedeutungslose Antworten. 1909 - Meydenbauer war bereits 75 Jahre alt - trat er als der Direktor der "Königlich preußischen Meßbildanstalt" zurück.

5. Die Geschichte des Meydenbauer Archivs

Fig. 12 und 13: Albrecht Meydenbauer zum Zeitpunkt seiner Pensionierung 1909. Die Urkunde, die den Ruhestand von Albrecht Meydenbauer dokumentierte, wurde am 20. Oktober 1909 im neuen Palais in Potsdam durch den Deutschen Kaiser Wilhelm II. unterzeichnet. In diesem Fall handelte er als König von Preußen, weil die Meßbildanstalt eine preußische Anstalt und ein Meydenbauer ein Bediensteter des preußischen Staates war.

 

Die große Zahl an Meßbildern, die in ungefähr 35jähriger Arbeit des Instituts gesammelt wurden, sind in den speziellen Regalen gelagert worden. 1933 wurde das Material zum ersten Mal aus den Regalen entfernt, weil die Anstalt in ein anderes Gebäude in der Nähe umzog. Aber bald kam es zu einer wahren Odyssee. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die komplette Sammlung zuerst aus Sicherheitsgründen in einen Keller des Schlosses in Berlin transportiert. Wegen der Zunahme der Luftangriffe auf Berlin, wurde 1944 das Material wieder an einen anderen Ort gebracht und landete letztendlich in einem ehemaligen Kalibergwerk, ungefähr 150 Kilometer von Berlin entfernt. 

1945 beschlagnahmte die Sowjet Armee die Sammlung und brachte das gesamte Material - insgesamt 935 hölzerne Kästen - nach Moskau, wo es im Juli 1946 ankam. 56 Kästen, deren Inhalt immer noch unbekannt ist, wurden in ein Kunstmuseum gebracht. Die restlichen 879 Kästen mit den photographischen Platten wurden dem Museum der Akademie für Architektur und Gebäude überreicht, in dem das Material pfleglich behandelt wurde. 1958 wurden diese Kästen von den Sowjets der Deutschen Demokratischen Republik zurückgegeben. Leider befanden sich die Kataloge als auch die Unterlagen zur Kamerakalibrierung und die Meßdokumente nicht bei diesen zurückgegebenen Materialien und diese fehlen noch heute.

In der “Kunstgeschichtlichen Bildstelle„ der Humboldt Universität von Berlin wurden die Negative gekennzeichnet und ein Index erstellt. Das Archiv wurde in drei Etagen eines Gebäudes nahe dem Stadtzentrum von Berlin aufbewahrt. 1968 übernahm das “Institut für Denkmalpflege der DDR„ die Negativ-Aufnahmen von Meydenbauer. In diesem Zusammenhang wurde eine neue photogrammetrische Anstalt gegründet die sich “Meßbildstelle„ in der Tradition des Meydenbauers Instituts, nannte. Ihre Aufgabe bestand darin, photogrammetrische Dienstleistungen im Sinne der Denkmalpflege und -Konservierung zu leisten. Von nun an gewannen auch die historischen Photographien bei der Wiederherstellung der Denkmäler in der DDR große Bedeutung.

Wegen der Alterung der Glasplatten, der strukturellen Beschädigung in den photographischen Schichten, Angriffs durch Bakterien, der Beschädigungen während der vielen Transporte und des praktischen Gebrauches von den Negativen, wurden sie in Ihrem Bestand immer mehr gefährdet. Folgerichtig wurde die Entscheidung getroffen, sie durch Reproduktionen sicher zu konservieren. Seit 1983 wurde die Reproduktion der Negative des historischen Archivs auf beständiges Filmmaterial durchgeführt. Das Format der Bilder wurde von 40 cm x 40 cm auf 18 cm x 18 cm reduziert.

Durch die politischen Änderungen in Deutschland 1990 kam das berühmte “Meydenbauer Archiv„ unter das Obdach des “Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege„. Der Sitz dieses Büros ist Waldstadt, ein Ort ca. 30 Kilometer südlich von Berlin. Der amtliche Name der Sammlung ist “Messbildarchiv„ und das Material wird jetzt unter neuzeitlichen Bedingungen gespeichert. So ist es durchaus möglich, das das Archiv - selbst zum Gegenstand des kulturellen Erbes geworden - dauerhaft für restaurative Zwecke verwendet wird und für die nächsten Jahrzehnte hervorragend konserviert ist.

6. Zusammenfassung

Fig. 14: Die “Albrecht-Meydenbauer-Medaille„der deutschen Gesellschaft für Photogrammetrie und die Fernerkundung (DGPF)

Meydenbauer ging 1909 in den Ruhestand (Fig. 12). Am Alter von 75 beendete er seine Berufstätigkeit nach einem Leben von Erfüllung, gekennzeichnet von vielen Jahren der experimentellen Arbeit und des Kampfes um Akzeptanz, aber auch durch großen Erfolg und hohe Anerkennung. Er wurde von der Universität von Marburg (1885) als Dr. Phil. h. c. geehrt, als Dr.-Ing. h. c. von der Technischen Hochschule von Hannover (1908) und er erhielt den Ehrentitel Professor auf Anordnung vom deutschen Kaiser (1903). Außerdem trug er hohe Orden und Ehrenzeichen (Fig. 13). 

Dennoch gibt es auch den tragischen Aspekt, daß die Meßbildanstalt nur eine photogrammetrische Anstalt des preußischen Staates war. Sein großer Traum, die Einrichtung einer nationalen Dokumentationsstelle des kulturellen Erbes für das gesamte deutsche Reich, war unerreichbar. Dennoch gilt Albrecht Meydenbauer aus heutiger Sicht als der erfolgreiche Erfinder der Photogrammetrie und als ein weitsichtiger Protagonist der Sicherung des kulturellen Erbes.  

1985 stiftete die “Deutsche Gesellschaft für Photogrammetrie und Fernerkundung" (DGPF) die “Albrecht-Meydenbauer-Medaille„ als Preis für hervorragende Beiträge zur Entwicklung von Photogrammetrie und von Fernerkundung (Fig. 14).

Literatur

Armbruster, Walter E.A.: Brücken der Erinnerung - Gedanken zum 75. Todestag meines Urgroßvaters Albrecht Meydenbaur. In: Architekturphotogrammetrie gestern - heute - morgen. Eds. Jörg Albertz u. Albert Wiedemann, Technische Universität Berlin, 1987, pp. 15-27.

Blachut, Teodor J.: Die Frühzeit der Photogrammetrie. In: Geschichte der Photogrammetrie. Nachrichten aus dem Karten- und Vermessungswesen, Sonderheft, Frankfurt am Main, 1988, S. 17-62.

Grimm, Albrecht: Zwei Meydenbauer'sche Instrumente für Architektur-Photogrammetrie wiedergefunden. Bildmessung und Luftbildwesen (1978) S. 33-34.

Koppe, Reiner: Zur Geschichte und zum gegenwärtigen Stand des Meßbildarchivs. In: Architekturphotogrammetrie gestern - heute - morgen. Eds. Jörg Albertz u. Albert Wiedemann, Technische Universität Berlin, 1987, pp. 41-57.

Meydenbauer, Albrecht: Das Denkmäler-Archiv und seine Herstellung durch das Messbild-Verfahren. Denkschrift 1896. Nachdruck mit Kommentar von Rudolf Meyer, Deutsche Gesellschaft für Photogrammetrie und Fernerkundung, Berlin 1993, 16 S.

Meydenbauer, Albrecht: Handbuch der Meßbildkunst in Anwendung auf Baudenkmäler und Reiseaufnahmen. Knapp Verlag, Halle 1912.

Meyer, Rudolf: Albrecht Meydenbauer - Baukunst in historischen Fotografien. Fotokinoverlag, Leipzig 1985.

Schwidefsky, Kurt: Albrecht Meydenbauer - Initiator der Photogrammetrie in Deutschland. Bildmessung und Luftbildwesen (1971) S. 183-189.

Unte, Johannes: Die Staatliche Meßbildanstalt, ihr Werden und Wirken. Bildmessung und Luftbildwesen (1927) S. 19-27.

100 Jahre Architektur in Meßbildern. Bildmappe, Herausgeber VEB Carl Zeiss, Jena 1985.

Anmerkungen

Die aktuelle Adresse des “Meydenbauer Archivs„ ist: Brandburgisches Landesamt für Denkmalpflege (Messbildarchiv), Wünsdorfer Platz 4, D-15838 Waldstadt, Deutschland.

Wir danken für die freundliche Mitarbeit von Frau Jeanette Frey, Archiv für Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur in Bern (Schweiz) und die Unterstützung von Herrn Christoph Eidenbenz, früher Bundesamt für Landestopographie in Wabern (Schweiz).


(Übersetzung ins Deutsche überarbeitet am 02.08.2010)

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