Reliefstein aus dem Fundament der frühmittelalterlichen Tholeyer Abteikirche

Befund- und Fundbeschreibung, Fragestellungen

1. Beschreibung

1.1 Steinsubstanz

Der Reliefstein besteht aus einem Sandsteinblock von etwa 0,70 x 0,50 m und 0,22 m Höhe, der in drei Einzelteile zerbrochen ist. Er hat eine rötliche, teilweise auch ins Graue tendierende Färbung und eine heterogene Struktur. Während er in weiten Bereichen - vor allem auf Seite A - sehr feinkörnig und fest ist, haben andere Teile eine gröbere Struktur mit zahlreichen, z. T. über 10 mm großen Kieseleinschlüssen und neigen zum Absanden. Die Schichtenbildung des Steins ist schwach ausgeprägt und hat weiche Übergänge. Sie verläuft annähernd parallel zu den Hauptansichtsseiten.

Der Stein hat zwei bearbeitete Seiten. Auf der Seite A ist der Torso einer menschlichen Gestalt mit seitlichem rundem Schild zu erkennen. Die Seite B zeigt einen menschlichen Kopf mit Teilen des Oberkörpers. Im Querprofil ist die Seite B deutlich konvex gewölbt.

An den Schmalseiten sind umlaufend nachträgliche Bruchkanten vorhanden, so dass die bearbeiteten Oberflächen, abgesehen von einem kleinen Bereich, nicht aneinander stoßen.

Beschreibung der Oberflächenbearbeitung

1.2.1 Seite A (Torso)

Auf den Bruchstücken zu erkennen ist der Oberkörper einer menschlichen Gestalt – sehr wahrscheinlich eines Mannes - mit einem Bein, einem Arm ohne Hand sowie einer einzelnen Hand auf der gegenüberliegenden Seite. Die einzelne Hand hält bzw. stützt sich auf einen runden Schild mit äußerem Wulst und einen halbkugelförmigen Besatz in der Mitte. Die andere, nicht mehr erhaltene Hand hielt oder stützte sich auf einen schmal länglichen, leicht gebogenen Gegenstand, dessen Bedeutung nicht klar zu erkennen ist.

Der Oberkörper ist etwa zur Hälfte mit einem Gewand bekleidet, das einen ausgeprägten Faltenwurf zeigt. In der anderen Hälfte ist kein Faltenwurf erkennbar sondern lediglich einige erhaben ausgearbeitete Bereiche, die einen lederartigen Besatz darstellen könnten, vielleicht Teile einer Rüstung.

Die bildhauerische Ausarbeitung erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, die Person sei von hinten dargestellt. Die Physiognomie der den Schild haltenden Hand ist jedoch eindeutig die einer linken Hand, so dass das Relief als Frontaldarstellung zu sehen ist.


Kopf und Füße der Figur fehlen.

Werkzeugspuren sind nur in geringem Umfang vorhanden. Sie beschränken sich auf leichte, parallele Furchen, die in schräger Richtung an einigen Teilen der gewölbten Oberfläche erkennbar sind.

In den Tiefen des Reliefs sind vereinzelt Spuren einer Farbfassung vorhanden. Auf einer dick aufgetragenen Kalktünche war der figürliche Teil in kräftigem Rot abgesetzt. Der Fond der Darstellung stand in leicht ockrigem Kalkweiß.

Die Tatsache, dass in deutlichem Umfang Farbspuren erhalten sind und die Oberfläche und die Oberfläche wenig bewittert erscheint, könnte darauf hindeuten, dass das Relief nicht unmittelbar oder nicht sehr lange der Witterung ausgesetzt war.

1.2.2 Seite B (Gesicht)

Das Relief ist von deutlich geringerer Plastizität als die gegenüber liegende Seite und in erheblichem Umfang bestoßen. Dort wo die bearbeitete Oberfläche noch erhalten ist, erscheint sie vergleichsweise rau. Dies ist zum Einen auf die grobere Steinstruktur zurück zu führen, könnte aber von einer längeren Bewitterung herrühren. Werkzeugspuren sind nicht (mehr) zu erkennen.

Dargestellt ist ein stilisierter männlicher Kopf mit Schultern und Teilen des Oberkörpers. Der Kopf ist etwa vom Kinn bis zur Stirnpartie erhalten, das linke Ohr und evtl. die Haartracht oder Kopfbedeckung fehlen.

Die Augen sind als hervortretende liegend ovale Scheiben ausgeführt. Die Nase hat die Form eines länglichen Trapezes und ist nach oben gleichmäßig flach gewölbt. Die Höhen der ehemals wohl plastisch hervortretenden Wangen sind bestoßen, ebenso wie die Stirn und die gesamte Mundpartie. Zu erkennen ist hier aber noch deutlich der zweigeteilte Ansatz des Schnurrbartes unmittelbar unterhalb der Nase. Der noch vorhandene Umriss im Kinnbereich könnte von einem Kinnbart stammen, dessen Höhen nicht mehr erhalten sind. Deutlich zu erkennen ist hingegen auf der rechten Seite des Kopfes eine halbrunde, konkav gearbeitete Form, die sich auf den ersten Blick als Ohrmuschel ansprechen lässt. Da der obere Ansatz jedoch S-förmig gearbeitet ist und der obere Teil bestoßen ist, könnte es sich auch um eine Locke der Haartracht oder den Ansatz einer Blattkrone handeln.

Der Oberkörper des Reliefs ist durch die Bruchkanten des Steins stark beschädigt. Erhalten ist auf der linken Seite der Ansatz der Schulter und auf der rechten Seite eine vertikale Vertiefung, die wohl den Abschluss des Oberarms markiert. Eine im linken Oberkörperbereich schräg zur Mundpartie hin verlaufende Wölbung ist stark bestoßen und nur schwer zu interpretieren. Es könnte sich um den Übergang vom Oberarm zum Brustkorb handeln. Denkbar ist aber auch, dass es sich um den Unterarm eines zum Kinn hin angewinkelten Armes handelt oder um ein Teil eines Kleidungsstückes bzw. Halsschmucks.

Die Oberfläche des Steins weist dort, wo sie nicht bestoßen ist – insbesondere in den Tiefen des Reliefs – eine dunkle, als Patina anzusprechende Verfärbung auf. Es könnte sich dabei um eine Verschmutzung, abgestorbene Algen, eine Verrußung oder eine künstlich angelegte Schwärzung handeln. Unter dem linken Auge und an der Stirn befinden sich Reste einer sehr fest angetrockneten ockrigen Masse, deren Ursprung und Bedeutung ebenfalls unklar ist. Vereinzelt sind noch geringe Reste von lehmiger Erde und von einem ockrigen Kalkmörtel geringer Bindekraft vorhanden.

Die Seite B des Reliefs weist noch zwei weitere, offenbar nach Ausführung des Reliefs ausgeführte Bearbeitungen in Form kastenförmiger Löcher auf. Das größere Loch ist etwa 2,5/10 cm groß und ca. 11,5 cm tief. Es hat im Wesentlichen parallel verlaufende Seitenflächen, ist also allenfalls schwach V-förmig ausgebildet und verläuft in vertikaler Richtung etwas unterhalb des Kinns. Das kleinere befindet sich etwas oberhalb im Kinnbereich leicht versetzt zur Hauptachse des anderen Loches und ist nur etwa 2/2 cm groß und 1 cm tief. Da die Steinsubstanz in der Umgebung des Loches ausgebrochen ist, könnte es ursprünglich aber auch tiefer gewesen sein. Es ähnelt den Greiflöchern, die für mittelalterliche Kranwerkzeuge in Werksteine gehauen wurden. Ein Pendant auf der gegenüber liegenden Seite ließ sich allerdings nicht feststellen.

Ob die beiden Löcher zeitgleich oder nacheinander entstanden sind ist nicht ersichtlich, die achsial versetzte Anordnung spricht aber eher gegen eine Gleichzeitigkeit.

Es kann vermutet werden, dass zumindest das größere der beiden Löcher einmal zur Aufnahme einer dübelartigen Verankerung diente, mit der der Stein befestigt war, als die gegenüberliegende Seite sichtbar war. Da diese Eintiefung offenbar nach der Reliefbearbeitung des Gesichtes erfolgte, würde dies bedeuten, dass die gegenüber liegende Seite mit dem Torso die jüngere ist.

2. Fundsituation des Reliefsteins

2.1    Archäologische Fundsituation

Der Reliefstein wurde während der in den Jahren 1957-59 unter der Leitung von Dr. Franz-Josef Reichert durchgeführten Grabung im Chor der Abteikirche Tholey gefunden. 1

Er befand sich im südlichen Fundament einer Vorgängerkirche der heutigen, um 1260 begonnenen Kirche . Nach mündlichen Angaben von Dr. Reichert war er nicht wahllos im Verband vermauert, sondern er erweckte den Eindruck, als ob er sorgsam in der untersten Steinlage „deponiert“ worden sei, und zwar mit der Seite A (Torso) nach unten. Er war – offenbar erst durch die Last des aufliegenden Mauerwerks – an Ort und Stelle in vier Teile zerbrochen.

Zu dieser Zeit wurde nur die augenfällige Bearbeitung der Seite A erkannt und als „römisch“ datiert. Eine erste Publikation folgte 1973  durch Alfons Kolling, der dabei auch eine von zwei Fotoaufnahmen aus dem Jahr 1959 veröffentlichte. 2

Bei der Zwischenlagerung im Klosterbereich in den folgenden Jahren ging das untere Teilstück des Reliefs, auf dem ein Unterschenkel des Kriegers zu erkennen war, verloren. Später wurde der Stein zusammen mit anderen bei den Ausgrabungen geborgenen Spolien ins Abteimuseum gebracht und war dort bis März 2006 ausgestellt.

Entdeckung der Seite B

Im Zuge der Neubegründung des kulturhistorischen Museums „Theulegium“ in Tholey wurde das in der Klausur gelegene Abteimuseum im Jahr 2006 aufgelöst und die Exponate als Dauerleihgabe der Kirchengemeinde in die neuen Museumsräume überführt.

Vor der Neupräsentation wurden die Ausstellungsstücke durch den Restaurator Dipl.-Ing. Niko Leiß gereinigt. Abgesehen von der Verschmutzung durch Staub waren in den Tiefen des Reliefs, insbesondere in den Gewandfalten, noch zahlreiche Reste von Erde vorhanden, die nach der Bergung 1959 nicht entfernt worden waren. In diesem Zusammenhang wurden auch die Erd- und Mörtelreste von der Rückseite des römischen Reliefs abgenommen. Dabei wurde die Bearbeitung der Seite B (Gesicht) erstmals erkannt.

3. Fragestellungen

Es ergeben sich eine Reihe von Fragestellungen. von denen sich zunächst die nach der relativen und absoluten Datierung der Reliefseiten aufdrängt

Aufgrund der stilistischen Merkmale kann davon ausgegangen werden, dass die Bearbeitung der beiden Seiten nicht zeitgleich erfolgt ist, sondern vermutlich mit deutlichem zeitlichem Abstand. Aus kunsthistorischer Sicht unstrittig erscheint die Zuordnung der Seite A (Torso) in römische Zeit etwa zwischen dem 1. – 3. Jhdt. n. Chr.

Die Seite B (Gesicht) könnte damit in vorrömischer Zeit oder danach bis 1200 entstanden sein. Aufgrund der sich hier befindenden möglicherweise als nachträgliche Dübel- oder Transportlöcher zu deutenden Vertiefungen erscheint es plausibel, die römische Seite als die jüngere anzunehmen.

Bei einer Zuordnung in vorrömische Zeit drängt sich eine Datierung in die keltische Epoche auf. Es erscheinen stilistische Parallelen zu Darstellungen aus der Früh-Latène-Zeit im 5. vorchristlichen Jahrhundert erkennbar (Glauberg, Pfalzfeld).

Grundsätzlich ist aber auch eine Datierung in nachrömische, frühest mittelalterliche Zeit zwischen dem 5.-11 Jh. n. Chr. nicht auszuschließen, da Darstellungen in dieser Zeit bisweilen einen ähnlich stilisierten Chrarakter haben.

Daher konzentrieren sich die Fragestellungen auf die kunsthistorischen Aspekte:

Ähnliche Fragen stellen sich zur Seite B (Gesicht):

Und Schließlich:

Die wissenschaftliche Bearbeitung diese außergewöhnlichen Objektes steht erst am Anfang.

(Aufgestellt Dipl.-Ing. N. Leiß)

 

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[1] „Im südlichen Fundament der Kirche mit den drei Rundapsiden lag die Darstellung eines Legionärs, in einige Teile zerbrochen. Das Gesicht war weggeschlagen. Er trägt eine Rüstung mit Schild und Lanze und scheint von einer sehr provinziellen Hand zu stammen.“ Franz-Josef Reichert, Die Baugeschichte der Benediktiner-Abtei­kirche Tholey, Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde des Saarlandes 3, Saarbrücken 1961, S. 17
[2] „Relieffragment mit dem Bild eines Legionärs, gefunden im südlichen Fundament der vorgotischen Abteikirche. Fragmentierte Platte aus vier Stücken zusammengesetzt. Nach links(?) schreitender Legionär mit Lanze in der Linken. Kopf, Hand und Lanzenspitze sind abgebrochen. Im Rücken der Figur ein Schild. Wie mir Dr. Reichert mitteilt, ist die Rückseite glatt." Alfons Kolling, Bericht der Staatlichen Bodendenkmalpflege im Saarland 20, 1973, S. 25, Taf. 9.3

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